Jeder Fahrzeughändler ist daran interessiert, auch neue Kunden zu gewinnen. Das gilt nicht nur für das Privatkundengeschäft, sondern ebenfalls für das Anwerben neuer Großkunden. Dabei kommt es häufig vor, dass Privatpersonen für sich selbst oder als potentielle Dienstwagennutzer eines Unternehmens wegen Probefahrten im Autohaus vorstellig werden. Gerade im Hinblick auf die zukünftige Nutzung von Elektrofahrzeugen wollen viele Fahrer zunächst einmal ein solches Fahrzeug ausprobieren. Sofern das gewünschte Fahrzeugmodell beim Händler steht, wird das Autohaus gerne eine Probefahrt ermöglichen. In der Praxis ist es dabei Standard, dass von dem Fahrer zwar die Personalien aufgenommen werden und vom Führerschein und dem Personalausweis eine Kopie gefertigt wird. Häufig wird dann der interessierte Fahrer aber alleine mit dem Fahrzeug zur Probefahrt losgeschickt.
Der Fall
Eine solche Vorgehensweise kann für Fahrzeughändler böse enden. Das musste auch ein Autohaus schmerzlich erfahren, welches einem vermeintlichen Kaufinteressenten einen Audi Q5 für eine unbegleitete Probefahrt überlassen hatte. Obwohl vereinbart war, dass das Fahrzeug nach einer Stunde wieder zurückzubringen sei, kehrte der Fahrer mit dem Fahrzeug nicht mehr zurück. Tatsächlich wurde der Wagen auf der Internetplattform Ebay zum Verkauf angeboten und schließlich für 31.000 Euro veräußert. Die Kaufpreiszahlung erfolgte in bar. Mit dem Fahrzeug wurden dem Käufer Fahrzeugpapiere auch ausgehändigt. Als der Käufer den Audi bei der Zulassungsstelle zulassen wollte, stellte sich heraus, dass die Papiere gefälscht waren und das Fahrzeug bereits bei der Polizei als gestohlen gemeldet worden war. Nach Aufforderung durch die Polizei gab der Käufer das Fahrzeug daraufhin zwei Wochen später an das Autohaus zurück. Dieses verkaufte den Audi nun mit echten Fahrzeugpapieren zu einem Kaufpreis von 35.000 Euro. Damit war die Angelegenheit für den Fahrzeughändler zunächst erledigt.
Die Klage und das überraschende Urteil
Statt zu versuchen, den „falschen“ Verkäufer des Fahrzeugs ausfindig zu machen, verklagte der geschädigte Käufer das Autohaus auf Herausgabe der erzielten 35.000 Euro. Was vielen juristischen Laien unverständlich vorkommen mag, das Oberlandesgericht Celle gab dem geschädigten Käufer Recht und das Autohaus musste die vereinnahmten 35.000 Euro an den Kläger auszahlen (Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 12.10.2022, Az. 7 U 974/21). Um dies zu verstehen, kommt es auf die juristischen Unterschiede bei Diebstahl und Unterschlagung an. Übergibt ein Nichtberechtigter beim Verkauf die Sache an einen Käufer, kann dieser unter bestimmten Voraussetzungen Eigentümer werden, auch wenn die Sache dem Verkäufer überhaupt nicht gehört.
Die Sache mit dem Eigentum
Wird eine Sache gestohlen oder kommt sie sonst abhanden und wird dann von dem Täter oder einer von ihr beauftragten Person verkauft, kann der Käufer von Gesetzes wegen an der Sache kein Eigentum erhalten. Hintergrund ist, dass der Eigentümer die Sache nicht freiwillig einem anderen überlassen hat. In solchen Fällen schließt der Gesetzgeber einen sogenannten gutgläubigen Erwerb aus. Anders sieht die Rechtslage aber aus, wenn der Täter, der danach die Sache veräußert, das Fahrzeug vorher mit Zustimmung des Berechtigten erhalten hatte. In diesem Fall spricht der Jurist von Unterschlagung. So war im Rechtsstreit, den das Oberlandesgericht Celle zu entscheiden hatte unstreitig, dass das Autohaus mit Wissen und Wollen dem vermeintlichen Kaufinteressenten das Fahrzeug zur Probefahrt übergeben hatte. Es lag daher kein Diebstahl, sondern eine Unterschlagung vor. Da half ist nach Ansicht des Gerichts auch nicht, dass der Wagen mit GPS ausgestattet war und über das Autohaus verfolgt werden konnte.
Diebstahl vs. Unterschlagung
Bei der Unterschlagung lässt der Gesetzgeber einen gutgläubigen Erwerb der unterschlagenen Sache durch einen Dritten zu. Ein solcher gutgläubiger Erwerb scheidet nur dann aus, wenn der Käufer aufgrund der Gesamtumstände davon ausgehen musste, dass es bei dem Verkauf nicht mit rechten Dingen zuging. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Fahrzeug weit unter dem üblichen Verkehrswert veräußert wird, übergebene Fahrzeugpapiere auch für einen Laien sofort als gefälscht erkennbar sind oder wenn bei der Übergabe des Fahrzeugs überhaupt keine Fahrzeugpapiere mit ausgehändigt werden. Ist für einen verständigen Käufer jedoch nicht auf den ersten Blick erkennbar, dass das Verkaufsangebot dubios ist oder im Rahmen der Übergabe erhebliche Zweifel an der Berechtigung zum Verkauf „ins Auge springen“, kann er gutgläubig das Eigentum an der Sache erwerben.
Im vorliegenden Fall waren die Fahrzeugpapiere so professionell gefälscht worden und auch der Kaufpreis nicht auffällig günstig, sodass das Gericht von einem gutgläubigen Erwerb des Fahrzeugs durch den Käufer ausging. So stellte das Gericht ausdrücklich klar, dass auch eine Barzahlung bei einem Pkw-Verkauf nicht unüblich sei. Der gutgläubige Käufer wäre trotz polizeilicher Aufforderung nicht verpflichtet gewesen, den in seinem Eigentum stehenden Pkw an das Autohaus zurückzugeben. Da dieses jedoch zwischenzeitlich vom Autohaus veräußert worden war und dessen Käufer ebenfalls gutgläubig den Pkw erworben hatte, konnte nur noch der Veräußerungserlös herausverlangt werden.
Die Problematik einer Unterschlagung anlässlich Probefahrten trifft nicht nur Fahrzeughändler. Auch Leasinggeber und Mietwagenfirmen sollten Personalien Ihrer Kunden genau prüfen, bevor ein Fahrzeug übergeben wird.
Dr. Katja Löhr-Müller