Offenbar erlebt der Elektroantrieb jetzt seinen Durchbruch. Aber nicht bei Personenwagen, sondern bei den leichten Nutzfahrzeugen (LCV). Denn gerade im citynahen Lieferverkehr werden die Vorteile des Stromantriebs immer deutlicher spürbar, während die Nachteile zunehmend immer mehr verschwinden. Lange wollten oder konnten die namhaften Autohersteller auf diese Entwicklung nicht reagieren und haben die immer stärkere Nachfrage kleinen, neuen Anbietern überlassen. Doch diese Zeiten scheinen nun vorbei
Post gab Startschuss für Großserien-Fertigung
Volkswagen, Daimler und Co. sind aufgewacht und haben erkannt, dass sie es sich längst nicht mehr leisten können die Fuhrparkmanager gewerblicher Großkunden mit ihrem Wunsch nach einem batteriebetriebenen Lieferwagen abzuwimmeln. Die Posse um die Deutsche Post AG, die kein passendes E-Mobil fand und sich schließlich selbst helfen musste, haben die Konzerne offenbar als berechtigte Ohrfeige empfunden. Die Post ist inzwischen selbst Autohersteller, hat das Aachener Auto-Start-up Streetscooter übernommen und bietet den Streetscooter Work und seinen großen Bruder Streetscooter Work L inzwischen nicht allein für den Eigenbedarf, sondern bietet diesen auch Gewerbekunden an. Damit gab der gelbe Riese gleichzeitig auch den Startschuss für die Produktion von E-Transportern der Großserie. Allerdings kann es sich die Post beim Streetscooter leisten, als ihre größter „Kunde“ die Entwicklung und Feinabstimmung des Gefährts im laufenden Betrieb zu machen. Etablierte Autohersteller wie Daimler, Iveco, Nissan oder Volkswagen sehen sich aber industriellen Maßstäben und Gewährleistungen verpflichtet. Für sie wäre es unverantwortlich mit einem Trial-and-Error-Verfahren bei einem unausgereiften Produkt die eigene Marke zu beschädigen.
Volkswagen: E-Version in Crafter-Entwicklung integriert
Volkswagen Nutzfahrzeuge etwa hat auch deshalb bei der Entwicklung seines kürzlich erneuerten Crafter gleich die Elektrovariante mitgeplant. Die ersten Exemplare des Kastenwagens sind bereits bei Testkunden, die Produktion im großen Stil soll Ende des Jahres starten. Für den Antrieb des großen Transporters sorgt der 100 kW/136 PS starke Motor aus dem Kompaktwagen E-Golf, der von einer 38,5 kWh großen Akku mit Strom versorgt wird. Die Reichweite des auf 90 km/h Höchstgeschwindigkeit limitierten Kastenwagens gibt der Hersteller mit rund 160 Kilometern an. An der Schnellladesäule soll der Energievorrat in rund 45 Minuten wieder zu 80 Prozent aufgefüllt sein, an einer 7,2-kWh-Wallbox dauert es knapp fünfeinhalb Stunden. Noch wichtiger für die Praxis: Weil die Batterie im Unterboden integriert ist, bleibt das Ladevolumen der Elektro-Ausführung mit knapp 11 Kubikmetern auf dem Niveau der konventionellen Modelle mit Hinterradantrieb. Die Nutzlast liegt je nach Variante zwischen 1,0 Tonnen und 1,75 Tonnen.
Heute bereits E-Transporter in allen Größen erhältlich
Volkswagen ist längst nicht der einzige Transporter-Hersteller mit elektromobilem Angebot. Bereits seit geraumer Zeit bietet der zu FCA gehörende, italienische Iveco-Konzern den Daily mit E-Antrieb an. Die französischen Marken Citroen, Peugeot sowie Renault haben ihre Kleinlieferwagen ebenfalls als E-Varianten im Programm. Und Renault bringt in Kürze auch den großen Master als elektrische Z.E.-Version auf den Markt. Mercedes hat inzwischen angekündigt, den gerade vorgestellten neuen Sprinter bereits 2019 in einer Elektroversion anzubieten. Auch die kleineren Transporter Vito und Citan soll es künftig mit Batterieantrieb geben. Und auch der Streetscooter XL auf Basis des Ford Transit soll noch 2018 in nennenswerter Zahl bei der Deutschen Post zum Einsatz kommen.
Elektroantrieb bietet im Lieferverkehr viele Vorteile
Dass die Branche derzeit so unter Spannung zu stehen scheint, hängt nicht zuletzt mit Diesel-Fahrverboten zu tun. Während sie in Deutschland bislang nur ein Drohszenario sind, stehen sie in anderen europäischen Metropolregionen, wie etwa Paris, bereits kurz vor der tatsächlichen Umsetzung. Mit einem E-Transportern aber ist auch das kein Problem, denn der ermöglicht auch die Einfahrt in die denkbar strengsten Umweltzonen. Denn Abgas-Emissionen gibt es keine; und auch akustisch droht keine Belastung. Hinzu kommen wirtschaftliche Pluspunkte: Die Kaufpreise nähern den Dieselversionen zunehmend immer mehr an. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Strom seinen Preisvorteil gegenüber Dieselkraftstoff in Zukunft noch weiter ausbauen wird. Gerade im belastenden und verbrauchsintensiven Stadtverkehr mit seinem ständigen Stop-and-go-Verkehr können E-Motoren ihre Effizienzvorteile ausspielen. Und selbst längere Ladezeiten sind für vielerlei Einsatzarten kein Problem, können doch beispielsweise Lieferfahrzeuge während der beschäftigungslosen Nachtstunden geladen werden – möglicherweise dann sogar mit tariflich besonders günstigem Strom.
Auch Hersteller profitieren
In Deutschland wird die Elektrifizierung des Lieferverkehrs zusätzlich noch von der Politik gefördert. Im gerade verabschiedeten Koalitionsvertrag der GroKo ist für gewerblich genutzte E-Mobile eine Sonderabschreibung von 50 Prozent jährlich vorgesehen. Doch nicht nur für die gewerblichen Nutzer ist die Elektrifizierung des städtischen Lieferverkehrs eine prima Sache. Weil die EU die CO2-Grenzwerte für das Angebotsprogramm von Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen analog zum Pkw plant, müssen die Hersteller den Verbrauch ihrer Modellpaletten signifikant reduzieren, wollen sie Strafzahlungen verhindern. Mit elektrisch angetriebenen Nutzfahrzeugen lassen sich also sprichwörtlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. md/SP-X