Von Dr. Katja Löhr-Müller
Mitarbeiter, die als Handwerker oder Servicetechniker für ihren Arbeitgeber unterwegs sind, beginnen ihren Arbeitstag häufig unmittelbar zu Hause. Das gilt insbesondere dann, wenn sie das mit Material und Werkzeug beladene Firmenfahrzeug mit nach Hause nehmen dürfen. Wird von dort der Kunde direkt angefahren, herrscht immer wieder zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber Streit darüber, ob diese Fahrt bereits zu vergüten ist. Das gilt im Übrigen auch für andere Fälle wie die Fahrt vom letzten Kunden zurück zur Wohnung.
Klage auf Vergütung der Fahrtzeiten
Über genau einen solchen Fall hatte in jüngster Zeit das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden. Ein Servicetechniker im Außendienst hatte seinen Arbeitgeber verklagt. Er verlangte die Vergütung beziehungsweise Anrechnung der Fahrtzeit von insgesamt 68 Stunden und 40 Minuten auf sein Arbeitszeitkonto. Diese Zeiten hatte der Mitarbeiter hinter dem Steuer als Anfahrt zum ersten und Abfahrt vom letzten Kunden verbracht. Gemäß seinem Arbeitsvertrag sollte der jeweilige Tarifvertrag für den Groß- und Außenhandel in Niedersachsen gelten. Speziell mit Blick auf den Umgang mit Fahrtzeiten war im Arbeitsvertrag ansonsten nichts hinterlegt.
Bei dem beklagten Arbeitgeber galt eine Betriebsvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit, die bereits im Jahr 2001 mit dem Betriebsrat geschlossen wurde. Dort war unter anderem geregelt, dass Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden nicht zur Arbeitszeit zählen sollten, wenn sie 20 Minuten nicht übersteigen. Sobald die An- oder Abfahrt länger dauert, sollte nur jene Reisezeit als Arbeitszeit gelten, die über 20 Minuten hinausging. Dies sei für Arbeitnehmer zumutbar, da die An- und Abfahrt zum Arbeitgeber ja auch nicht vergütungspflichtig sei.
Betriebsvereinbarung vor Arbeitsvertrag?
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht in Düsseldorf wiesen die Klage des Arbeitnehmers ab mit der Begründung, Arbeitsverträge seien regelmäßig offen für eine Betriebsvereinbarung ausgestaltet. Daraus folge, dass durch eine Betriebsvereinbarung auch verschlechternd in die Rechte des Arbeitnehmers eingegriffen werden könne.
Zwar gelte nach § 77 Abs. 3 BetrVG ein sogenannter Tarifvorbehalt, wonach Arbeitsentgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht gleichzeitig Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein dürfen. Das Landesarbeitsgericht vertrat allerdings die Auffassung, dass die Betriebsvereinbarung weder die Vergütung noch die Wochenarbeitszeit betreffe und deshalb abgeschlossen werden durfte.
Tarifverträge berücksichtigen
Dieser Rechtsauffassung ist das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil vom 18. März 2020 (Az. 5 AZR 36/19) nicht gefolgt. Der 5. Senat des BAG hat der Klage des Arbeitnehmers stattgegeben mit dem Hinweis darauf, dass die Fahrzeit vergütungspflichtige Arbeitszeit sei. Diese Vergütungspflicht konnte durch die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2001 nicht ausgeschlossen werden, da die Betriebsvereinbarung nach Ansicht des Gerichts im Hinblick auf die flexiblen Arbeitszeiten unwirksam war. Wegen des Tarifvorrangs nach § 77 Abs. 3 BetrVG habe nur der geltende Manteltarifvertrag bei der Bewertung der Fahrzeit berücksichtigt werden dürfen.
Nach diesem Manteltarifvertrag sind sämtliche Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht erbringt, mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten. Dazu gehöre bei Außendienstmitarbeitern die gesamte Zeit für An- und Abfahrten zu Kunden. Der betreffende Manteltarifvertrag sehe auch keine Öffnungsklausel vor, mit der eine abweichende Betriebsvereinbarung hätte getroffen werden dürfen. Wegen dieser sogenannten Tarifsperre sei die Betriebsvereinbarung hinsichtlich der 20-Minuten-Regelung unwirksam.
Weitreichende Folgen für Arbeitgeber
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wird für Arbeitgeber weitreichende Folgen haben. Denn über die Behandlung solcher Fahrtzeiten entstehen regelmäßig heftige Diskussionen mit dem Betriebsrat. So wird nicht selten versucht, über Betriebsvereinbarungen einen entsprechenden Interessenausgleich zu finden. Das geht aber eben nur dann, wenn kein entgegenstehender Tarifvertrag etwas anderes vorsieht.
In einer bereits in 2018 vom gleichen Senat ergangenen Entscheidung hatten die Richter allerdings darauf hingewiesen, dass es einem Arbeitgeber unbenommen ist, im Arbeitsvertrag selbst mit dem Mitarbeiter eine gesonderte Vergütungsregelung für andere Tätigkeiten als die eigentliche Arbeitstätigkeit, also zum Beispiel für Fahrtzeiten, zu treffen. Ebenso bleibt es der Arbeitgeberseite unbenommen, mit der zuständigen Gewerkschaft einen Tarifvertrag auszuhandeln, der für Fahrtzeiten eine gesonderte Regelung vorsieht.