Von Dr. Katja Löhr-Müller
Wie groß wurde Anfang dieses Jahres die sogenannte fahrradfreundliche StVO- Reform angepriesen. Nun steht das das Bundesverkehrsministerium vor einem Scherbenhaufen. Denn die 54. Änderungsverordnung, die am 28. April 2020 in Kraft trat, leidet an einem erheblichen Formfehler.
Rechtliche Grundlage nicht gelegt
Zunächst war mit der Reform gar nicht vorgesehen, die Regelungen zu Geschwindigkeitsüberschreitungen, die zu einem Fahrverbot führen können, zu ändern. Das alte System hatte sich bewährt und galt als ausgewogen. Nachdem der Bundestag die ursprüngliche Fassung auch abgesegnet hatte, bedurfte es noch der Zustimmung durch den Bundesrat. Der war allerdings nur bereit, der Novelle zuzustimmen, wenn auch eine Verschärfung für Geschwindigkeitsüberschreitungen in den neuen Bußgeldkatalog aufgenommen wird. Genau so kam es dann auch.
Geschwindigkeitsüberschreitungen von 21 km/h bis zu 30 km/h innerorts sowie Geschwindigkeitsüberschreitungen von 26 km/h bis zu 40 km/h außerorts sollten nun bereits mit einem Regelfahrverbot belegt werden können. Diese neuen Regelungen wurden in § 4 Abs. 1 BKatV aufgenommen. Vergessen wurde dabei allerdings, in der Präambel zur Änderungsverordnung die Ermächtigungsgrundlagen vollständig zu benennen, die den Änderungen zugrunde liegen. Für alle neue Regelungen war man dem sogenannten Zitiergebot ordnungsgemäß nachgekommen – aber nur soweit es keine Fahrverbote betraf. Betreffend der Verschärfung zu den Geschwindigkeitsüberschreitungen, die zu einem Fahrverbot führen sollten, hatte man das offensichtlich schlichtweg vergessen.
Neue Regeln komplett unwirksam?
Bereits im Jahr 1999 hatte das Bundesverfassungsgericht in einer anderen Sache entschieden, dass der Verstoß gegen das sogenannte Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG zur Nichtigkeit der Verordnung führt. In der nun streitigen Änderungsverordnung hatte man zwar betreffend der neuen Verwarnungen und neuer Bußgelder auf die entsprechenden Paragrafen des Straßenverkehrsgesetzes als Ermächtigungsgrundlage verwiesen, nicht aber auf die Vorschrift § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG. Genau dort ist festgelegt, dass das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften über die Anordnung des Fahrverbots nach § 25 StVG zu erlassen.
Einig sind sich die Juristen darin, dass durch den Formfehler sämtliche neuen Regelfahrverbote nicht verhängt werden können. Das betrifft also nicht nur die verschärften Fahrverbote bei Geschwindigkeitsüberschreitungen, sondern auch bei nicht gebildeter Rettungsgasse ohne Behinderung oder Gefährdung, das Befahren der Rettungsgasse durch Unbefugte und das gefährliche Abbiegen.
Die Juristen des ADAC gehen dabei noch einen Schritt weiter. Sie vertreten die Rechtsauffassung, dass durch den eklatanten Formfehler in der Präambel der Änderungsverordnung nicht nur die neuen Fahrverbotsregeln unwirksam sind, sondern alle Änderungen des neuen Bußgeldkatalogs, somit etwa auch die Anhebung von Bußgeldern.
Viele Länder rudern zurück
Was gilt dann aber nun für die Zeit, bis der Formfehler behoben ist? Ist eine Verordnung nichtig, wird sie so behandelt, als ob sie von Anfang an nicht geschrieben worden wäre. Juristen sprechen von der sogenannten "Ex Nunc"-Nichtigkeit. Selbst wenn man nur von einer Teilnichtigkeit der Änderungsverordnung ausgeht, würde jener Teil, der den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht, so behandelt, als ob er nie in die Verordnung aufgenommen worden wäre. Gilt etwas als von Anfang an nicht existent, hat dies folgende Konsequenzen: Wurde das, was sanktioniert werden sollte, vorher noch nicht sanktioniert, bleibt das Verhalten straffrei. War etwas bereits vorher sanktioniert, sollte durch die Verordnung aber verschärft werden, bleibt es bei der alten Sanktion.
Die meisten Bundesländer haben bereits die Reißleine gezogen und ihre Ordnungsbehörden angewiesen, Bußgeldbescheide nicht nach den neuen Regelungen zu erlassen, sondern die alten Bußgeldtatbestände anzuwenden. Jetzt könnte man meinen, es sei ein Leichtes, die Präambel der 54. Änderungsverordnung einfach anzupassen und die vergessene Ermächtigungsgrundlage nachträglich einzufügen. Wegen der Nichtigkeit, mindestens aber Teilnichtigkeit der Verordnung muss eine Ergänzung erst wieder den Weg durch den Bundestag und Bundesrat gehen. Zudem beabsichtigt der Bundesverkehrsminister mit den Ländern die Regelfahrverbote zu Geschwindigkeitsüberschreitungen noch einmal zu diskutieren. Denn das Bundesverkehrsministerium betrachtete die Verschärfung hierzu ohnehin von Anfang an als unangemessen.
Was tun beim Fahrverbot?
Was sollen Betroffene nun tun, wenn wegen einer ab dem 28. April 2020 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung oder aus den anderen bereits genannten Gründen ein Regelfahrverbot droht?
Hat der Betroffene eine Anhörung erhalten, wurde aber noch kein Bußgeldbescheid erlassen, wird die Ordnungsbehörde den Vorgang wohl auf Grundlage des alten Rechts prüfen. Ist der Bußgeldbescheid bereits erlassen, ist dringend zu empfehlen, innerhalb der Einspruchsfrist von 14 Tagen ab Zustellung des Bescheides Einspruch einzulegen, mit Hinweis auf die Nichtigkeit der Änderungsverordnung. Ist die Einspruchsfrist vorbei, ein verhängtes Fahrverbot aber noch nicht angetreten worden, sollte der Betroffene einen Vollstreckungsaufschub bei der Bußgeldstelle schriftlich beantragen und sich dabei auf die Nichtigkeit des Fahrverbots berufen. Wurde das Fahrverbot bereits angetreten und ist es noch nicht abgeschlossen, besteht die Möglichkeit eines sogenannten Gnadenverfahrens. Bei der Ordnungsbehörde kann die Aufhebung des Fahrverbots und Herausgabe des Führerscheins beantragt werden. Ob ein solches Gnadenverfahren aber zum Abschluss kommt, bevor die Fahrverbotszeit endet, mag dahinstehen.
Wer allerdings mit dem Gedanken spielt, Schadenersatz wegen eines bereits verhängten und vollzogenen Fahrverbots geltend zu machen, wird scheitern. Denn eine Amtspflichtverletzung setzt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Handelnden voraus. Die Behörde hatte aber nur einen neuen Bußgeldkatalog angewendet. Es ist nicht ihre Aufgabe zu beurteilen, ob die entsprechende Verordnung auch wirksam war.