Von Dennis Gauert
Wenn 2,3 Tonnen Leergewicht auf 224 Diesel-PS und eine Acht-Gang-Automatik treffen, kann von einem Nutzfahrzeug kaum mehr die Rede sein. Alleine die Vorstellung, über diesen Pick-up im traditionellen Sinne zu berichten erscheint absurd. Ein bisschen verrückt muss man schon sein, um die 56.614 Euro zu investieren, die unser Testwagen kostet. Davon entfallen alleine 10.521 Euro auf die Sonderausstattung.
Ein Blickfang in Honey Orange Metallic
Das Ergebnis ist ein Blickfang in Honey Orange Metallic, der dank der neu designten mattschwarzen Sportsbar und Canyon-Dekorfolien keinen Hehl aus seinem Anspruch macht. Neben der optischen Erscheinung bietet der Amarok weiter guten Nutzwert. 3,5 gebremste Tonnen dürfen an die Anhängerkupplung gehängt werden, etwa 600 Kilogramm Zuladung sind erlaubt.
Das nimmt dem Amarok im Vergleich zu Navara, X-Klasse und Alaskan zwar ein paar hundert Kilogramm an Argumenten ab, führt aber zu etwas, das keiner der genannten Konkurrenten bieten kann, Komfort: Während die Leiterrahmen des Japan-Pick-up Navara und dessen Derivaten mit Schraubenfedern an der Hinterachse unterwegs sind, fährt der Amarok traditionell auf Blattfedern.
Eher ein Cruiser nach amerikanischem Vorbild
Durch die geringere Zuladung sind die aber deutlich entspannter abgestimmt. So sind lange Autobahnfahrten mit dem Hannoveraner kein Problem. Windgeräusche sind ebenfalls kaum wahrnehmbar. Damit ist der Amarok eher ein Cruiser nach amerikanischem Vorbild.
Unverständlich ist, weshalb VW bei allem Verständnis für angenehmes Fahren die Ladeklappe immer noch nicht mit Dämpfern versieht. Gerade erst hat Renault es beim Alaskan doch vorgemacht.
Ein richtiger Dynamiker ist der schwere Amarok selbstverständlich nicht, lässt sich durch die gute Gewichtsverteilung aber zielgenau durch den Verkehr manövrieren. Dazu trägt auch die Lenkung bei, die mit zunehmendem Lenkwinkel straffer wird. Das ist erst einmal gewöhnungsbedürftig, erhöht das Sicherheitsgefühl und die Spurtreue im Vergleich zur Konkurrenz aber merklich.
Blitzschnell schaltendes Acht-Gang-Getriebe
Die Bremsen packen beherzt zu und gebieten dem Riesen auch bei hohen Geschwindigkeiten schnell Einhalt. Und dann ist da noch das blitzschnell schaltende Acht-Gang-Automatikgetriebe, das dem Amarok Canyon zusammen mit den 550 Newtonmetern Drehmoment schon ab 1400 U/min zu einer ungewohnten Leichtigkeit verhilft. Um an der Ampel mit zu halten, schaltet sich mancher Kombifahrer die Finger wund – und bleibt trotzdem hinten.
Im Innenraum geht es hochwertig aber dezent zu. Das Armaturenbrett und die Türverkleidungen der Hannoveraner Pick-up-Sünde sind als Hommage an die deutsche Geradlinigkeit und Ordnungsliebe zu deuten. Akkurat tritt auch das mittig angeordnete Navigationssystem "Discover Media" mit 6,33-Zoll-Touchscreen hervor. Es lässt sich intiutiv und bequem bedienen. Durch seine geringen Abmessungen wirkt es in dem ansonsten großzügigen Interieur aber etwas verloren.
Bequeme Sitzbezüge in Alcantara
Von ungeahnter Schönheit sind hingegen die bequemen Sitzbezüge in Alcantara. Die gut führenden Seitenwangen der beheizten und elektrisch verstellbaren Stühle sind mit Kunstleder im Carbon-Look abgesetzt und werten den Innenraum ebenso auf, wie die titanschwarze Armaturentafel und die schwarzen Fußmatten mit Canyon-Schriftzug.
Nach modernen Assistenzsystemen muss man im Amarok nicht lange suchen. Durch die Servotronic sind hier nur eine Multikollisionsbremse, eine Geschwindigkeitsregelanlage, ESP, Offroad-ABS und ein Berganfahr- und Bergabfahrassistent an Bord. Manche Zusätze wären hier schön gewesen, in Hannover konnte man vor ein paar Jahren aber noch nicht wissen, dass der Amarok über die Jahre noch zu einem echten Autobahnhochsitz wird.
Erstaunlich geringer Verbrauch
Ein kleines Wunder ist der Verbrauch: Im Durchschnitt sind es zehn Liter Testverbrauch, die auch bei beherztem Gasfuß nicht überschritten werden. Bis auf acht Liter lässt sich der Durst des V6-Turbodiesels eindämmen.
Die kleinen Brüder mit den Vierzylindern langen da nicht weniger zu. Eine so große Sünde ist der Amarok Canyon im Klassenvergleich also gar nicht. Auch zeigt er mit einer zuschaltbaren Allraduntersetzung und einem sperrbaren Hinterachsdifferential geländetaugliche Tugenden.
Für Volkswagen selbst ist er allerdings eine Sünde: Die Verkäufe des Amarok blieben hinter den Erwartungen zurück, bei jedem gekauften Exemplar zahlt Volkswagen Nutzfahrzeuge bis heute drauf.
So wird erwartungsgemäß wenn überhaupt nur ein Nachfolger auf Ford-Ranger-Basis kommen, der Amarok als VW-Eigenentwicklung aber wohl eingestampft. Das lassen die aktuellen Gespräche mit US-Automobilhersteller Ford erahnen, mit dem Volkswagen im Nutzfahrzeugbereich voraussichtlich eine Allianz bilden wird.
Schade, dass der Amarok mit dem V6-Diesel einen letzten Gruß auf der Wolfsburger Plattform schickt. Mit etwas innerem Willen und Schöngeist ist er nun nämlich eine echte Alternative zu einem SUV. Mit etwas geringerer Langstreckentauglichkeit und weniger Luxus aber sicher mit dem größeren Fahrspaß.
Eher etwas für den Chef
Wie sinnvoll ein solcher Power-Pick-up tatsächlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Vergönnt bleibt er im Betrieb mit einem derart hohen Kaufpreis wohl nur dem Chef. Ohnehin ist der Amarok aktuell nur noch mit V6-Dieselmotoren zu bekommen.
Der ehemals günstige Einstiegspreis von gut 25.000 Euro für die Doppelkabine ist damit passé, eine Lkw-Zulassung als Doppelkabine ohnehin kaum mehr möglich. Da bleibt nur, für sich den Sinn im Unsinn zu sehen. Und das geht im Amarok Canyon jetzt sogar noch leichter: Der Nachfolger mobilisiert ganze 258 PS aus dem gleichen Hubraum.
Daten Volkswagen Amarok Canyon 3.0 V6 TDI:
Maße (L x H x B in mm): 5191 x 1878 x 1954
Motor: V6-Turbodiesel (TDI)
Leistung: 224 PS (150 kW)
Max. Drehmoment: 500 Nm bei 1250 – 2750 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 188 km/h
Beschleunigung 0-100 km/h: 8,1 Sekunden
Abgasnorm: Euro 6
CO2-Ausstoß (NEFZ): 212 g/km
Verbrauch (NEFZ): 8,1 Liter
Testverbrauch: 9,5 Liter
Getriebe: Acht-Gang-Automatikgetriebe
Leergewicht mit Fahrer: 2331 kg