Foto: Vreni Arbes

bfp Fuhrpark-Forum 2019

"Die Autonation Deutschland wird sich neu erfinden müssen“

Vom Daten- zum Mobilitätsmanager: Amir Roughani, Keynote-Speaker auf dem bfp Fuhrpark-Forum 2019, skizziert in einem Interview, wie sich das Berufsbild des Flottenmanagers verändern wird.

Interview mit Amir Roughani, CEO der VISPIRON CARSYNC GmbH

Herr Roughani, viele kleine und mittelständische Unternehmen sind bei Fragen der Mobilität und der Erneuerbaren Energien verunsichert. Abgesehen von der Verantwortung für nachfolgende Generationen – inwiefern lohnt sich die Investition in neue Technologien für die Unternehmer auch wirtschaftlich, und worauf sollten sie ihre Investitionen konzentrieren?

Amir Roughani: Bevor ich zu der Wirtschaftlichkeit meine Einschätzung abgebe, ist es mir wichtig zu erwähnen, dass nach unseren repräsentativen Erhebungen etwa 80 Prozent der gefahrenen gewerblichen Routen mit einem vollgeladenen E-Fahrzeug gefahren werden können. Dabei ist eine Route eine Hin- und Rückfahrt ohne zusätzlicher Ladevorgang.

Bei der Wirtschaftlichkeit ist der Betrachtungszeitraum entscheidend, denn ein E-Fahrzeug hat derzeit insbesondere bei den Betriebskosten Vorteile gegenüber dem Verbrennungsmotor. Da wird die Wirtschaftlichkeit bei einer Betrachtungslaufzeit von drei Jahren eher negativ und bei einer Laufzeit von fünf Jahren eher positiv ausfallen. Die Investition wird tendenziell immer attraktiver, da die Anschaffungskosten von E-Fahrzeugen aufgrund von immer günstigeren Batterien stark sinken.

Meine Empfehlung ist jedoch, vor jeglicher Investition den Fuhrpark und das Mobilitätsverhalten der Mitarbeiter zu analysieren. Mit den Analyseergebnissen werden der Anteil an E-Mobilität, Fahrrädern, E-Rollern und die erforderliche Ladeinfrastruktur ermittelt. Auch das Potenzial von Corporate Carsharing ist eine wichtige Kennzahl, um zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen. Mit der Digitalisierung des Fuhrparks erhalten Flottenmanager per Knopfdruck diese Entscheidungsgrundlagen.

Sehen Sie die E-Mobilität als Patentrezept für die Mobilitätsbranche, oder gibt es hier noch andere prägende Faktoren? Was heißt das für den Standort Deutschland?

Amir Roughani: Für mich ist die nächste Generation der Mobilität nicht nur elektrisch. Sie ist auch vernetzt und autonom. Und ich bin davon überzeugt, dass mit der Kraft der neuen Mobilität – sicherer, grüner und vernetzter – die heutige Fahrzeugwelt grundlegend verändert wird. Der Antriebsstrang wird in der neuen Mobilitätswelt keine wichtige Rolle mehr spielen. Die Autonation Deutschland wird sich neu erfinden müssen. Ob und wie gut uns das gelingt, haben wir doch selbst in der Hand. Die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollten jedoch auf Angriff umstellen. Mit einer starken Verteidigung des Status quo und einer Transformation der kleinen Schritte machen wir es den neuen hungrigen Playern unnötig leicht.

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Was muss die Politik unternehmen, damit wir bei der Mobilität der Zukunft international konkurrenzfähig bleiben?

Amir Roughani: Wir brauchen Rahmenbedingungen für eine echte Verkehrswende, die klimaneutrale und staufreie Mobilität ermöglicht. Die Welt verträgt nicht immer mehr Autos und Abgase. Die Lösung einer Verkehrswende wird weltweit benötigt, nicht nur bei uns. Der Klimawandel und die Staus sind woanders in der Welt um ein Vielfaches größer als bei uns. Für die Hauptabsatzmärkte unserer Automobilindustrie entwickeln wir andernfalls Produkte, die sie nicht mehr kaufen werden.

Ziel muss es sein, die Fahrzeug- und Verkehrsdichte zu reduzieren und gleichzeitig die Mobilität der Menschen zu verbessern. Im urbanen Raum sollen Werktätige schneller zum Arbeitsplatz und Handwerker, Transport- und Lieferdienste schneller zu ihren Kunden gelangen. Auf dem Land profitieren ältere Menschen und Kranke von autonom agierenden Fahrzeugen. Sie kommen schneller zu ihrem Arzt und umgekehrt Pflegedienste schneller zu ihren Patienten.

So gesehen bietet die autonome Mobilität eine überzeugende Antwort auf den demografischen Wandel unserer Gesellschaft und auf die Stauprobleme in den Megacities. On-Demand-Mobilität für Werktätige in Ballungsräumen und bessere Lebensqualität auf dem Land. Diese Aspekte sollten die Verkehrspolitik stärker antreiben als beispielsweise technische Nachrüstungen für Dieselfahrzeuge. Fahrverbote werden jedenfalls sicher nicht unsere Mobilitätsprobleme lösen. Wir alle in der Gesellschaft, da schließe ich mich als Unternehmer ein, sollten größer und verantwortlicher denken und handeln.

Planbare Rahmenbedingungen für den Umstieg auf die neue Mobilität scheinen jedoch für die Regierung Tabu zu sein. Allerdings geht es um das langfristige Bestehen unserer Autoindustrie. Wer seine nächste Wahl oder die nächsten Quartalsergebnisse dem überordnet, handelt verantwortungslos. Den Wandel können wir damit nicht aufhalten, wir können ihn nur verpassen.

Die Mobilitätstechnologien werden zunehmend digital. Wer wird hier aus Ihrer Sicht den Kampf um die Daten gewinnen?

Amir Roughani: Große Player wie Alphabet, Apple und auch die Granden der Autobranche haben ihre Claims weitestgehend abgesteckt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es in der globalen Datenwelt kein Neuland mehr zu entdecken gäbe. Wichtig erscheint mir, dass mittelständische Betriebe und Kommunen ihre digitale Transformation erfolgreich abschließen und den Mut aufbringen, konsequenter datenbasierte Entscheidungen zu treffen.

Grundsätzlich bietet die Daten-Digitalisierung allen Unternehmen die Chance, schneller und klarer die Bedürfnisse ihrer Kunden zu verstehen und bessere Produkte und Services anzubieten. Wir zum Beispiel sind überzeugt, dass in dem Ansatz Corporate Carsharing ein echter Mehrwert für Mitarbeiter in den Unternehmen steckt. Es erhöht sicher die Attraktivität eines Arbeitgebers, wenn dieser seinen Mitarbeitern bedarfsgerecht Fahrzeuge zur Verfügung stellen kann, gleichwohl für Geschäfts- und Privatfahrten. Statt ein privates Auto zu nutzen, greifen Mitarbeiter auf ein Poolfahrzeug zu, das ihr Arbeitgeber oder ein Dienstleister zur Verfügung stellt. Die Privatsphäre und Betriebsratsanforderungen sind intelligent gelöst und werden akzeptiert.

Klar ist aber auch, dass die fortschreitende Digitalisierung neue Sicherheitsstandards erfordert, gerade bei selbstfahrenden Autos. Mehr Sensorik und die Datenkommunikation zwischen den Verkehrsteilnehmern bergen zahlreiche Angriffspunkte. Auf diesem Gebiet leisten neue Technologien Abhilfe. Da ist beispielsweise der Ansatz der Blockchain vielversprechend. Die Blockchain sichert die sensible Echtzeit-Datenkommunikation ab und garantiert darüber hinaus den Unternehmen die Hoheit über ihre Daten. Es gibt also genügend Herausforderungs- und Gestaltungsfelder, auf denen sich deutsche Unternehmer, Ingenieure und Entwickler profilieren können und werden.

Wie wird sich das Berufsbild des Flottenmanagers in den nächsten zehn Jahren verändern?

Amir Roughani: Meiner Einschätzung nach wird es mehrere Phasen des Wandels geben. Die nächste Stufe ist sicherlich der Weg zum Datenmanager. Mit der Digitalisierung werden nicht nur Prozesse effizienter, sondern auch vielfältige strategische Optionen ersichtlich. Mit der vollständigen Fuhrpark-Digitalisierung wird der Flotten- oder Fuhrparkmanager zum Mobilitätsmanager, übernimmt beispielsweise auch das Travel-Management und leistet einen Beitrag zum Unternehmensgewinn. Fuhrparkmanager sind in Zukunft nicht mehr nur die Hüter von Fahrzeugen, sondern erwirtschaften Unternehmensertrag, zum Beispiel durch Corporate-Carsharing-Angebote. Natürlich setzen solche Ansätze voraus, dass alle sicherheitstechnischen, rechtlichen und mitbestimmungsrelevanten Aspekte überzeugend geklärt und von allen Mitentscheidern und Mitarbeitern akzeptiert sind.

Betrachten wir beispielhaft nur mal die internen Prozessabläufe eines kommunalen Versorgers. Corporate Carsharing setzt voraus, dass Strecken- und Verbrauchsdaten von Privat- und Geschäftsfahrten digital verfügbar und auswertbar sind. Zusätzlich sollen eine rechtssichere und automatisierte Führerscheinprüfung, ein effektives Schadenmanagement und das anwendungsgestützte Handling von Leasingfahrzeugen eingeführt werden. Da ist es doch nachvollziehbar, dass eine Vielzahl von Mitentscheidern, wie etwa Datenschutzbeauftragte und Betriebsräte, abgeholt und überzeugt werden müssen.

Wir von Carsync realisieren bereits seit vielen Jahren solche Projekte für Kommunen, Stadtwerke und Versorger und bieten rechtssichere Lösungen und beratende Hilfeleistung an. Die Einführung einer Corporate-Carsharing-Lösung erfolgt nicht in einer Hauruck-Aktion, sondern ist ein Prozess. Nur wenn wir den Mitentscheidern überzeugende Argumente an die Hand geben, wird die Integration und Umsetzung gelingen.

Schlussendlich lohnt sich dieser Aufwand. Unternehmen reduzieren Kosten im Fuhrparkmanagement und vereinfachen sämtliche Arbeitsabläufe hinsichtlich Service-, Schadens- oder Leasingfahrzeug-Abwicklung. Dazu generieren sie dann aber auch zusätzliche Erlöse, etwa durch die Vermietung von Fahrzeugen. Und es gibt ja auch noch den Aspekt des CO2-neutralen Flottenbetriebs.

Mit diesen Themen und Aufgaben sollten sich unserer Meinung nach die Flottenmanager in der Zukunft befassen. Dadurch manifestieren und steigern sie ihre eigene Bedeutung und Wertschätzung in ihrem Unternehmen.

(red)

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