Thomas Wüsten, AutoAmbition
Die Berechnung des CO2-Flottenwerts pro Hersteller ist ein Thema für sich. Zwar sollen ab 2020 alle in der Europäischen Union neu zugelassen Pkw den CO2-Höchstwert von 95 Gramm pro Kilometer einhalten, berechnet wird dieser Wert jedoch als Durchschnittsziel pro Hersteller. Das heißt, jeder Hersteller muss mit dem Durchschnitt seiner in Europa neu zugelassenen Pkw bei 95 g CO2/km oder darunter liegen.
Das heißt auch, dass er 2020 und danach durchaus Automodelle mit einem höheren CO2-Ausstoß als 95 g/km verkaufen kann, solange andere Modelle darunter liegen und den zu hohen CO2-Ausstoß kompensieren. Sobald der durchschnittliche Flottenwert des Herstellers jedoch den Grenzwert überschreitet, werden hohe Strafzahlungen an die EU fällig.
Ein Gramm CO2 zu viel kann 100 Millionen Euro pro Jahr kosten
Seit diesem Jahr sind das 95 Euro pro Gramm CO2 über der 95-g-Grenze je zugelassenem Auto in Europa. Konkret: Bei einem Hersteller wie beispielsweise Mercedes, der in Europa rund eine Million Pkw im Jahr verkauft, wird für ein Gramm Grenzwert-Überschreitung eine Strafzahlung von knapp 100 Millionen Euro fällig. Vor diesem Hintergrund erscheint es nur zu logisch, lieber immense Summen in die Entwicklung sparsamerer und sauberer Antriebe zu stecken, statt solche Summen an die EU zu zahlen.
"Auto-Professor" Ferdinand Dudenhöfer von der Universität Duisburg-Essen hat die drohendem Strafzahlungen in einem Simulationsmodell pro Hersteller gewichtet. Ausgehend vom derzeitigen CO2-Flottenwert hat jedes zugelassene Elektroauto (BEV) für seinen Hersteller einen sehr hohen Wert, der über dem Preis des Neuwagens liegt. Dieser Wert errechnet sich aus den vermiedenen Strafzahlungen, da jedes BEV den CO2-Flottenwert senkt.
E-Autos haben für Hersteller einen beträchtlichen Zusatzwert
Ohne E-Autos prognostiziert Dudenhöfer beispielsweise für die VW Gruppe Strafzahlungen in Höhe von knapp vier Milliarden Euro. Volkswagen benötige laut Dudenhöfer rund 350.000 BEVs um diese Strafen zu vermeiden. Daraus folgert der Automobilmarkt-Fachmann bei VW einen Zusatzwert pro BEV von rund 11.400 Euro.
Bei der BMW Group sind es 11.900 Euro und bei Mercedes-Smart gar 12.400 Euro. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen kommt Dudenhöfer zu dem Schluss, "dass es essentiell für Mercedes-Smart ist, Smart als reine Elektromarke zu etablieren".
Der "Auto-Professor" erklärt noch einen weiteren Zusammenhang: "Da die Zusatzwerte unabhängig von der Größe des Elektroautos sind, macht es für die Autobauer Sinn, preisgünstige und nicht ganz so reichweitenstarke Klein- und Kompaktfahrzeuge anzubieten." Aha, deshalb wird Smart bald zur reinen E-Marke und deshalb startet VW den großen Elektro-Rollout mit dem I.D. Neo in der Kompaktklasse.
CO2-Grenzwert aus Brüssel prägt die Autos der Zukunft
Die beschriebene Betrachtung mag einseitig und stark kostenfixiert sein, sie macht jedoch überdeutlich wie stark die kommenden EU-CO2-Grenzwerte direkten Einfluss auf die Automobil-Entwicklung nehmen. Die CO2-Vorgaben formen unsere automobile Mobilität der kommenden Jahrzehnte. Auf lange Sicht geht es möglicherweise zu immer kleineren, kompakteren Modellen.
Einen ähnlich starken Einfluss auf die Automobilentwicklung gab es schon einmal. Erinnert sei an die Ölkrise 1973, die Deutschland vier autofreie Sonntage und für sechs Monate Tempolimit 100 km/h auf den Autobahnen bescherte. Die zweite Ölpreiskrise 1979 unterstrich dann nochmals wie abhängig Europa von "billigem Öl" ist.
CO2-Grenze verändert Markt stärker als Ölkrisen
In der Folge erhielt der Treibstoffverbrauch in den Entwicklungsabteilungen der Autoindustrie eine deutlich höhere Priorität. Die Techniker arbeiteten an besonders lang übersetzten "Spar-Getrieben" und schufen Motoren, meist mit mehr Hubraum, die schon bei niedrigeren Drehzahlen ausreichend Leistung und Drehmoment lieferten.
VW taufte die Getriebe mit dem langen letzten Gang "3+E" und "4+E" und gab den neuen Versionen der "Formel E" auch eine Schaltanzeige mit auf den Weg. Die Modelle Passat und Santana erhielten schon damals auf Wunsch eine Start-Stopp-Anlage, wie wir sie heute in nahezu allen Pkw kennen. Auch das Feld der Aerodynamik diente mit Beginn der 1980er Jahre fast ausschließlich der Verbrauchsreduzierung.
Der Gradmesser für Windschlüpfigkeit, der cW-Wert, wurde mittels kleiner Dachkanten- und Heckspoiler bei vielen Modellen optimiert. Schließlich erschien 1982 der neue Audi 100 (C3) mit einer besonders strömungsgünstigen Karosserie und unterbot viele seiner Wettbewerber beim Verbrauch.
Flottenwert-Ermittlung: Mühlen der EU mahlen langsam
Die Ermittlung des jeweiligen CO2-Flottenwerts eines Herstellers liegt bei der EU. Das Verfahren gliedert sich in vier Schritte:
Schritt 1: Zum Jahresbeginn sammeln die 28 teilnehmenden Staaten von ihren Zulassungsbehörden alle erforderlichen Daten der als Neuwagen in den Verkehr gelangten Pkw. Diese Daten werden dann an die entsprechende Behörde in Brüssel übermittelt.
Ein solcher Datensatz beinhaltet den CO2-Wert eines jeden einzelnen Autos, denn entsprechend der Bereifung und Ausstattung variiert der CO2-Wert auch bei identisch motorisierten Modellen. Schritt 1 sollte mit dem Ende des ersten Quartals beendet sein.
Schritt 2: Im zweiten Quartal eines Jahres werden die Länder-Datensätze von der EU geprüft und auf die beteiligten Fahrzeug-Hersteller aufgeteilt. Zurzeit sind das die Daten von rund 15 Millionen Zulassungen pro Jahr. Im Idealfall erhalten die Hersteller die europäischen Zulassungsdaten ihrer Fahrzeuge zur Jahresmitte.
Schritt 3: Nun ist es an den Herstellern die offiziellen EU-Zulassungsdaten auf Richtigkeit zu prüfen und mit ihren internen Produktions- und Verkaufs-Informationen zu vergleichen. Sie können der EU-Stelle Fehler offenlegen und Korrekturen vorschlagen.
Im Rahmen einer Bereinigung werden von 100 Prozent der Daten die fünf Prozent mit den höchsten CO2-Werten komplett gestrichen. Schritt 3 dauert ungefähr ein Vierteljahr, sodass die komplette Rückübermittlung der geprüften Daten etwa Anfang Oktober erfolgt.
Schritt 4: Auf Basis des finalen Datensatzes stellt nun die EU-Dienststelle ihre Durchschnitts-Berechnung an. Das Ergebnis ist der endgültige und offizielle CO2-Flottenwert des betreffenden Herstellers. Bis dieser Wert definiert ist und dem Hersteller mitgeteilt wird, dauert es im Schnitt nochmals bis zu drei Monaten oder länger.
Gegenüber BFP erklärte ein hochrangiger Emissions-Manager eines deutschen Herstellers Mitte Februar dieses Jahres: "Unser offizieller, EU-bestätigter CO2-Flottenwert für das Jahr 2017 liegt mir immer noch nicht vor." So viel zur EU-Bürokratie. Die Hersteller wissen jedoch spätestens ab Schritt 3, ob sie den Grenzwert erreicht haben, nur eben nicht offiziell.
Jeder Hersteller erhält individuelles CO2-Ziel
Besonderheit 1 – Fahrzeug-Gewicht: Auf Betreiben der deutschen Regierung bei der EU wird der CO2-Grenzwert herstellerspezifisch je nach Durchschnittsgewicht der zugelassenen Fahrzeuge korrigiert. Dieser definierte Korrekturfaktor soll Herstellern von mehrheitlich schwereren Pkw, die folglich über einen höheren Nutzwert verfügen, die Zielerreichung erleichtern. Hinsichtlich des erforderlichen technischen Aufwands sollen sie nicht schlechter gestellt werden als Hersteller, die mehrheitlich kleinere und leichtere Pkw produzieren.
So beträgt das durchschnittliche Neuwagen-Leergewicht in Europa zurzeit 1.372 Kilo. Das Durchschnitts-Pkw-Gewicht bei Mercedes liegt jedoch bei 1.605 Kilo. Demnach beträgt der gewichts-korrigierte CO2-Grenzwert für Mercedes in 2020 genau 105 g/km. Bei BMW ist es nicht viel anders und bei Herstellern, die vermehrt kleinere, leichtere Pkw in den europäischen Markt bringen, liegt der CO2-Zielwert teils auch unter 95 g/km.
Bis 2020 werden E-Autos und PHEVs doppelt gerechnet
Besonderheit 2 – Supercredits: In den Jahren bis 2022 werden von der EU bei der Ermittlung des amtlichen CO2-Flottenwerts für einen Hersteller sogenannte Supercredits eingerechnet. Diese gelten für alle neu zugelassenen Fahrzeuge, die weniger als 50 g/km emittieren – also für PHEVs und BEVs. Im Jahr 2020 wird jedes dieser Fahrzeuge für den Hersteller 2-fach gerechnet.
Besonders große Wirkung haben dadurch Elektroautos, die mit null Gramm CO2 doppelt in die Berechnung eingehen. Da kann bereits ein neu zugelassenes E-Auto mehrere Pkw-Zulassungen mit Werten deutlich über 95 g/km kompensieren. 2021 erfolgt die Berechnung der Fahrzeuge mit einem CO2-Ausstoß unter 50 g/km immerhin noch 1,67-mal und 2022 zählen sie dank Supercredits noch 1,33-mal.
Kleinere Hersteller haben Vorteile
Besonderheit 3 – kleine Hersteller: Alles bisher Gesagte gilt für Hersteller, die mehr als 300.000 Fahrzeuge im Jahr produzieren. Anbieter, die zwischen 10.000 und 300.000 Einheiten liegen, können als Sonderregelung einen Grenzwert beantragen, der einer durchschnittlichen Reduzierung des CO2-Ausstoßes von 45 Prozent entspricht (bezogen auf den Zeitraum von 2007 bis 2020).
Nischenhersteller mit weniger als 10.000 Fahrzeugen pro Jahr können eine Ausnahme von den Grenzwerten bei der EU beantragen. Kleine Hersteller mit weniger als 1.000 Fahrzeugen sind generell von der Verordnung ausgenommen.