Rainer Schnarr hatte Glück, als er vor fünf Jahren erstmals elektrische Fahrzeuge anschaffen wollte. Beim damals neuen Geschäftsführer rannte er mit seiner Idee sofort offene Türen ein. „Nach der Abstimmung mit der Geschäftsführung konnten wir kurzfristig die ersten vier Elektroautos und auch die benötigten Wallboxen bestellen“, erinnert sich Schnarr, bei der Vitos Service gGmbH verantwortlich für das Fuhrparkmanagement und Best-Practice-Referent auf dem bfp FORUM 2023. Bei Vitos Service kümmert er sich um rund 100 Pkw und Transporter des Vitos-Klinikverbunds Gießen-Marburg.
Ein guter Einstieg in die Elektromobilität, aber Schnarr wollte mehr, hat sich zusammen mit der Geschäftsführung ambitionierte Ziele gesetzt: „Etwa ein Drittel unserer Fahrzeuge soll mittelfristig rein elektrisch unterwegs sein.“ Heute fährt rund ein Viertel des hessischen Vitos-Fuhrparks elektrisch. Und zwar rein elektrisch, denn Plug-in-Hybride kommen Schnarr nicht auf den Hof.
Dreiklang der Fuhrpark-Elektrifizierung
Natürlich war Schnarr schon zu Beginn klar, dass die erfolgreiche Elektrifizierung eines Fuhrparks nicht nur darin bestehen kann, im Car-Konfigurator vier Mal beim gewünschten Antrieb auf „Elektro“ zu klicken und dann ein paar Wallboxen zu bestellen. Eine gesamtheitliche, nachhaltige Strategie musste also her. Gesagt, getan: „Im ersten Schritt habe ich mich dann mit meinem Team zusammengesetzt, um die weiteren Bausteine unserer E-Mobilitäts-Strategie zu definieren.“
Am Ende ging es um drei Themen, um die sich die Hessen fokussiert kümmerten, um erfolgreich Elektroautos im Fuhrpark zu etablieren:
- die intensive Beschäftigung mit den praktisch gelebten Fahrprofilen
- der Aufbau einer alltagstauglichen Ladeinfrastruktur sowie
- die Nutzerkommunikation.
Ein Dreiklang, auf dem heute die E-Mobilitäts-Strategie des Vitos-Klinikverbunds Gießen-Marburg fußt.
Digitalisierung als Voraussetzung für die E-Mobilität
Zwar eignen sich Elektroautos für immer mehr Einsatzzwecke und auch immer häufiger für längere Strecken, ohne detaillierte Fahrprofilanalysen geht es heute aber trotzdem noch nicht. Rainer Schnarr betont in diesem Punkt die Relevanz der Digitalisierung: „Nur weil wir schon zum Start unserer E-Mobilitäts-Offensive digitale Fuhrparkmanagement-Instrumente wie elektronische Fahrtenbücher genutzt haben, haben wir die Daten in dem Detailgrad erhalten, wie wir sie benötigten.“ Schließlich ging es nicht nur darum herauszufinden, wie viele Kilometer die Fahrerinnen und Fahrer auf ihren täglichen Touren mit und zu den Patienten beziehungsweise zwischen den einzelnen Standorten unterwegs sind, sondern auch wo genau die Autos im Einsatz sind.
Ersteres ist wenig überraschend wichtig, um herauszufinden, ob ein Elektroauto überhaupt für einen bestimmten Einsatz geeignet ist. Und auch hinter der Lokalisierung steckt keine blinde Datensammelwut, sondern das Ziel, die Fahrerinnen und Fahrer flächendeckend auch mit externer Ladeinfrastruktur zu versorgen. „Da wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Elektroauto unterwegs sind, müssen sie auch laden können“, betont Rainer Schnarr. Denn: „Wenn auch nur ein Fahrer unterwegs mit leerem Akku liegen bleibt, können Sie die Konsequenzen negativer Mundpropaganda gar nicht unterschätzen.“
Richtige Zahl der Ladepunkte definieren
Ein Grund also, weshalb Rainer Schnarr und sein Team bei der Planung der Ladeinfrastruktur nicht nur die eigenen Ladepunkte auf dem Betriebsgelände im Blick hatten. Die allerdings haben dann nochmal ein bisschen Planungs- und Umsetzungsenergie erfordert. „Zusammen mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Bauabteilung und der Instandhaltung sowie mit Elektrikern haben wir definiert, wie viele Ladepunkte wir wo auf unserem Gelände installieren können“, erklärt Schnarr. Hier sei man als große Klinikgruppe allerdings im Vorteil, da man in vielen Punkten auf internes Know-how zurückgreifen könne. Gemeinsam habe man also geprüft und entschieden, wo zum Beispiel Leitungen für Ladesäulen und Wallboxen verlegt werden konnten und sollten.
Mindestens halb so viele Ladepunkte wie Elektroautos empfiehlt Rainer Schnarr. Dass zu wenige Ladepunkte schnell Frust bei den Fahrerinnen und Fahrern auslösen, wenn Säule oder Wallbox mal wieder blockiert sind, versteht sich von selbst. Aber auch zu viele Lademöglichkeiten sendeten das falsche Signal, so Schnarr: „Dann hängen die Autos unnötig lange am Kabel.“
Beim Vitos-Verbund Gießen-Marburg wurden es letztlich 48 Ladepunkte. 11 kW Ladeleistung sind heute verfügbar, 22 kW an einigen Punkten möglich. „Die benötigen wir allerdings noch nicht“, sagt Schnarr. Weshalb es zunächst bei der praktikablen geringeren Ladeleistung bleibt: „Bei unserem auf die Klinikbedürfnisse ausgelegten Netz sind die, auch mit Blick auf mögliche Lastspitzen, völlig unproblematisch.“ Ein weiteres Thema, auf das es zu achten gilt. Denn Lastspitzen schlagen sich am Ende extrem in der Stromrechnung nieder. Auch bei der Auswahl der Ladehardware setzt Schnarr übrigens auf Vernetzung und Digitalisierung: „Nur so lassen sich die Ladevorgänge vom Backend aus steuern, nur so ist eine sinnvolle Einbindung des Themas Ladens in das E-Mobilitäts-Controlling möglich.“
Auch emotional auf die E-Mobilität vorbereiten
So viel zu den harten Fakten der E-Mobilität im Unternehmen, besonders wichtig ist aber die Akzeptanz bei den Fahrerinnen und Fahrern. Und da kommen wir schnell zum Thema Kommunikation. Hier griff Rainer Schnarr im ersten Schritt wieder auf seine Analysen zurück: „Wir haben den Menschen im Detail erläutert, wie unsere Autos bewegt werden“, so der Fuhrparkmanager. „Und dass sie überhaupt keine Angst vor dem Umstieg auf die E-Mobilität haben müssen, weil sie in den meisten Fällen im Alltag funktioniert.“
Nun sind Fakten das eine, gerade bei technischen Innovationen sind oftmals aber Emotionen – und vor allem Ängste – im Spiel. Was wird aus meinem gewohnten Fahrrhythmus? Wie funktioniert das mit dem Laden? Und funktioniert das wirklich alles so, wie man mir das erzählt? Fragen, die wohl auch in manchen Köpfen des Vitos-Teams in Gießen und Marburg umherschwirrten, und auf die Rainer Schnarr auch, aber eben nicht nur mit Fakten antwortete.
„Bei allen rationalen Argumenten für ausreichende Reichweiten legen wir den Fahrerinnen und Fahrern immer eine Ladekarte ins Auto“, so Schnarr. „Auch dann, wenn sie die voraussichtlich gar nicht benötigen werden.“ Außerdem können E-Auto-Fahrerinnen und -Fahrer bei Vitos im Notfall auch immer wieder einen Verbrenner mit auf Fahrt nehmen.
Neben der emotionalen Sicherheit sollen bei Vitos auch Spaß und Wohlfühlfaktor nicht zu kurz kommen, wenn es um die Motivation für die E-Mobilität geht. Rainer Schnarr: „Die ersten Elektroautos habe ich immer etwas besser ausgestattet als die Verbrenner.“ Als Beispiel nennt er Massagesitze und freut sich: „Sie glauben gar nicht, wie groß der Run auf die E-Autos war.“ Ein Erfolg, der Schnarr auch an anderer Stelle recht gibt: „Über 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in den letzten zwei Jahren auch privat auf Elektroautos umgestiegen.“ Sie profitieren übrigens vom kostenlosen Ladestrom aus der betrieblichen Ladeinfrastruktur.
Intensive Einarbeit in E-Mobilität notwendig
Bis es soweit ist, gibt Schnarr anderen Fuhrparkverantwortlichen aber noch einen Tipp mit, was die Beschaffung der Elektroautos angeht: „Ich lese Bestellbestätigungen mittlerweile zweimal.“ Der Grund: In Sachen E-Mobilität befinden sich seiner Erfahrung nach nicht nur die Unternehmen als Kunden, sondern oftmals auch der Handel noch in einem Lernprozess. Notwendige Informationen müsse man sich häufig noch selbst beschaffen, so Schnarr. Auch deshalb sagt er: „Bevor Sie mit der E-Mobilität starten, lesen Sie sich ganz intensiv in die Materie ein.“
Über Vitos
- Unternehmensgruppe aus 18 verbundenen gemeinnützigen Unternehmen
- Aktiv im Gesundheits- und Sozialwesen
- 114 Standorte an 74 Orten in Hessen
- Rund 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
- Vitos Service gGmbH mit rund 850 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter anderem verantwortlich für das Fuhrparkmanagement
- Fuhrpark: rund 700 Gesamtverbund, davon über 100 im Klinikverbund Gießen-Marburg
- Elektroautos im Fuhrpark: Mercedes-Benz e-Vito Tourer, Opel Corsa-e und Mokka-e, VW ID.3; Cupra Born im Bestellprozess
- Service- oder Motivationsflotte? Hauptsächlich Serviceflotte
Rainer Schnarr auf dem bfp FORUM 2023
Sie möchten sich direkt mit Rainer Schnarr rund um das Thema E-Mobilität im Fuhrpark austauschen? Dann besuchen Sie das bfp FORUM am 17. und 18. Oktober in Mainz. Erleben Sie Rainer Schnarr live am 17. Oktober um 10:30 Uhr bei seinem Best Practice „E-Mobilität – Einfach einsteigen“ und erfahren Sie weitere Details zum Einstieg in die elektrische Fuhrpark-Zukunft. Neugierig geworden? Dann gleich Ticket sichern unter bfpforum.de!
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